Süßes vs. Spinat: Wie unser Medienkonsum uns krank macht

Flipboard Deutschland Blog / Januar 16, 2018

Jedes Jahr kommen im November 300 der einflussreichsten Führungskräfte aus Medien, Technologie und Werbung in Ojai, California für die jährliche WPP-Stream “Unconference” für drei Tage zusammen, um Fragen, die sich der Medienwelt heutzutage stellen, zu diskutieren. “Stream” ist keine der typischen Industriekonferenzen. Hier geht es in erster Linie um offenen Dialog – kein Sales-Pitching, keine Vertragsabschlüsse, kein Buhlen um Partnerschaften, keine Werbeverträge.

Die Atmosphäre der Konferenz 2017 war von der Akzeptanz neuer Herausforderungen geprägt. Die letzten 12 Monate haben nicht zuletzt die heiklen und weitreichenden Probleme in den Fokus gebracht, die die mit dem Fortschritt der Technologie-Welt entstehen. Nur wenige Wochen vorher sahen sich Tech-Giganten wie Facebook, Google und Twitter vor dem US-Kongress mit der Frage konfrontiert, ob sie sich in den Wahlkampf der Präsidentschaftswahlen eingemischt haben. Die Medienlandschaft ist vielfältig wie eh und je. Das Vertrauen in die Massenmedien nimmt weiterhin ab. Die Durchschnittsperson checkt ihr Smartphone über 150 mal täglich. Wir sind mit Inhalten überlastet und von unseren Geräten abhängig.

Als auf der Stream 2017 die Ereignisse des letzen Jahres aufgearbeitet wurden, kam ein neues Set von Fragen auf: Wie sind wir in dieses Chaos hineingeschlittert? Wie können wir es in Ordnung bekommen? Es wurde klar, dass es uns allen obliegt, von Herausgebern über Plattformen, Werbeanbietern bis hin zu Nutzern, zusammenzuarbeiten, um eine Lösung zu finden.

Es ist sicherlich einfach und auch besonders in Mode, dem Silicon Valley und den Algorithmen, entwickelt von Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter, die herausgefunden haben was unsere Aufmerksamkeit weckt und uns vor dem Bildschirm kleben lässt, die Schuld zu geben. Aber es ist viel komplexer.

Stell Dir vor, Du hast ein Kind. Du platzierst zwei Schüsseln vor Dein Kind. Eine ist mit Gummibärchen gefüllt, die andere mit Spinat. Du bittest das Kind, sich eine Schüssel auszusuchen. Natürlich entscheidet sich das Kind für die Süßigkeiten. Hin und wieder etwas Süßes ist in Ordnung, solange wir es in Maßen konsumieren. Allerdings ist der Algorithmus, der bestimmt, welche Inhalte wir erhalten, nicht unbedingt qualitativ ausgerichtet. Er bringt uns näher zu der Schüssel mit den Gummibärchen und stößt den Spinat weiter von uns weg. Das nimmt seinen Lauf bis das Kind sich an den Gummibärchen überisst, während der gesunde Spinat unerreichbar geworden ist.

Obwohl die Social-Media-Plattformen in diesem Vergleich ganz klar die Bösen sind, haben die Besucher der Stream einen weitsichtigeren Blickwinkel eingenommen, um die Verantwortlichen zu identifizieren.

In der heutigen Ökonomie der Aufmerksamkeit, von Herausgebern, die die Inhalte erstellen, über Plattformen, die diese verbreiten, bis hin zu den Marken, die das Ganze finanzieren; jeder konkurriert um unsere Gedanken und daher teilen sich alle die Verantwortung, wenn es um den Missbrauch unserer Aufmerksamkeit geht.

Herausgeber, die sich größtenteils auf werbeunterstützende Business-Modelle verlassen, konkurrieren um jede einzelne Person, um Ihre Inhalte und die enthaltene Werbung zu liefern. Sogar die hochwertigsten journalistischen Anbieter fühlen den Druck, Profit erzielen zu müssen; und passen sich an, um die nötigen Klicks zu generieren. Was bleibt einem Herausgeber, der vollwertigen und gesunden Spinat anbietet, übrig, wenn die Nutzer nach den Gummibärchen lechzen? Mit den Gummibärchen hausieren gehen? Bis zu ihrem letzten Tag Spinat verkaufen und schließlich einen würdevollen Tod sterben? Spinat-Gummibärchen verkaufen?

Und die Werbeanbieter, die diese Herausgeber und Plattformen finanzieren, um ihre Leserschaft zu erreichen, stecken genauso in der Klemme. Solange Medienplaner auf Klicks pro Minute und Konsument setzen, werden Marken dieses dynamische System weiterführen und Quantität anstelle von Qualität belohnen, auch wenn es schlechte Angewohnheiten fördert.

Wir haben ein System kreiert, das Impuls über Intention stellt – die sofortige Befriedigung durch die Gummibärchen über den Spinat, der, wie wir wissen, auf Dauer gesünder ist.

Dies zu beheben wird nicht einfach sein, es wird nicht die eine Lösung geben. Die Besucher der Stream 2017, die alle auf die eine oder andere Art an diesem System beteiligt sind, haben erkannt, dass die Verantwortung geteilt werden muss. Auch wenn es sehr komplex ist, gibt es einiges, über das sich alle einig sind: Wir müssen Humanität in die Maschinen einfließen lassen und dürfen unsere Motive nicht vom Profit treiben lassen. Jeder wird zusammenarbeiten müssen, um das Niveau zu heben. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.

~AlexJ ist Co-Kurator von The Reclaim Movement

Dieser Artikel ist im Original in englischer Sprache auf WPPs Medium-Kanal erschienen.